Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe hoffentlich außerordentlich stolze Eltern und Anverwandte sowie Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe MitarbeiterInnen, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste!
Zunächst erst einmal meinen herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur – wir, d.h., Lehrerkollegium und Schulleitung, freuen uns mit Ihnen und sind zugleich außerordentlich stolz auf Sie alle. Denn Sie haben es – mit unserer dezenten Mithilfe – erreicht, eines der größeren logistischen Probleme der Bildungsgeschichte der letzten Jahre erfolgreich abzuwickeln – der Doppeljahrgang hat es geschafft, von den ersehnten Abiturzeugnissen trennen Sie buchstäblich nur noch meine Ausführungen, und nicht nur deshalb, sondern auch wegen der Wärme im heute doppelt so vollen Raum soll ich mich ja kurz halten. Wegen des übervollen Raums haben wir auch die Zahl der Lehrkräfte beschränkt, nur die, die mit Ihnen zu tun hatten, durften kommen – es ist also kein mangelnder Respekt Ihnen gegenüber, wenn Sie nur einige Lehrer vorfinden, 65 weitere Plätze waren einfach nicht mehr da.
Wir freuen uns auch darüber, dass Ihr Jahrgang es auch im sechsten Jahr unter besonders erschwerten Bedingungen das angeblich so viel schärfere und objektivere Zentralabiturs geschafft hat. Und eben nicht einfach nur einfach so geschafft, sondern Sie haben den Schnitt getoppt, also im langjährigen Durchschnitt die Ergebnisse unserer Schule – ob mit oder ohne Zentralabitur – übertroffen. Sie liegen mit diesem Durchschnitt von 2,37 vermutlich erneut leicht über dem Hamburger Mittelwert, doch dazu am Schluss mehr. Mit diesem Ergebnis liegt auch erneut ein empirischer Beweis dafür vor, dass Sie sich und wir uns mit den erreichten Leistungen nicht verstecken müssen – kurz gesagt, wo Goethe draufsteht, da ist auch ganz viel Goethe drin, großer Beifall von uns Lehrkräften und von den Eltern für Ihre Leistung. Und besonders zu würdigen ist, dass Ihre jüngere Hälfte obendrein auch noch die bessere Hälfte geworden ist, haben es die Gy8 SchülerInnen doch im Fotofinish geschafft, statistisch im Mittel die Gy9er leicht zu übertreffen. Vielleicht waren die Gy8er fleißiger, man hat ihnen ja auch viel Angst gemacht, entsprechende Unworte wie Versuchkaninchen und andere Nettigkeiten waren ja im Raum. Aber vielleicht ist es bei SchülerInnen einfach nur genau umgekehrt wie beim Wein – längeres Lagern in der Schule führt nicht unbedingt mehr zur Verbesserung. Insofern kann man dann auch im nächsten Jahr das Zentralabitur in Ihrer Form auch wieder abschaffen, das gibt’s dann nur noch in drei Fächern – vorerst. Da ich allerdings den Job bei der Bildungsbehörde schon ein paar Tage länger mache, bin ich da ganz zuversichtlich, dass das nicht das letzte Wort ist, denn nach der jetzigen Schulsenatorin gibt’s bestimmt irgendwann mal wieder eine andere, und irgendwas zum Reformieren muss es ja dann auch noch geben.
Insofern erlauben Sie mir anlässlich Ihres Abiturs ein paar Nachdenklichkeiten zum Reformismus in der Bildungspolitik, denn ich selbst war schon davon betroffen, schließlich habe ich selbst auch wie einige von Ihnen nur acht Jahre auf dem Gymnasium verbracht, weil man damals das Schuljahresende von Ostern auf den Sommer verlegen wollte. Ich gehörte allerdings zu den Glücklichen, denen mittels zweier Kurzschuljahre damals ein Jahr geschenkt wurde. In Deutschland eigentlich ein unglaublicher Vorgang, denn wir müssen beim Jahrgang nach Ihnen sogar die genaue Gesamtstundenzahl von 265 in 8 Jahren nachweisen. Geschadet hat es mir nicht, es sei denn man fände es problematisch, dass ich trotz 18monatigem Wehrdienst bereits mit 26 Jahren fertig ausgebildet vor der Klasse stand, trotz eines Jahres weniger Lernstoff. Aber was bei mir ausnahmsweise passierte, ist ja bei Ihnen und den weiteren Generationen das Ziel, Sie sollen ja schneller in die Berufs- und Arbeitswelt integriert werden, allerdings ohne Bildungsverluste. Deshalb hat man bei Ihnen das Gy8Abitur eingeführt, allerdings verlief die Umsetzung etwa so, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind kam. Denn wenn seinerzeit nicht zufälligerweise ein ehemaliger Bundeswehrgeneral Schulsenator geworden wäre, hätte es vielleicht kein Gy8 gegeben, denn er war in den westlichen BuLäs der Erste. Genauer gesagt war er Konteradmiral – also nicht Kenteradmiral, obwohl er ja auch nicht lange im Amt blieb. Sie fragen sicher, was diese Entscheidung der Schulzeitverkürzung mit seinem früheren Beruf zu tun hatte, aber ich habe diese bildungspolitische Hast erst verstanden, als er mir persönlich die Aufgabe eines Konteradmirals erklärt hat: Das ist der Kapitän oder eben Admiral auf dem letzten Schiff einer Flotte, bei der alle Schiffe in Kiellinie hintereinander herfahren. Und dieser Admiral auf dem letzten Schiff wird in dem Moment, wenn man den Befehl zum Wenden für alle gibt, weil’s vorn brenzlig wird und man fliehen möchte, zum BigBoss der ganzen Flotte, die dann in die entgegengesetzte Richtung dampft. Insofern war es für Ihn auch ganz einfach, den 20 000 Lehrern in HH zu befehlen, wir schippern jetzt in die andere, Gy8-Richtung. Das ging hopplahopp und ohne so lästige Fragen zu stellen, wie es Ernie aus der Sesamstraße tut: Was passiert dann? Wie geht das, ganztägig lernen, wo kann man was essen? Und woher kommt am Ende die doppelte Anzahl an Lehrstellen und Studienplätzen? Ich jedenfalls weiß bis heute noch nicht, warum man diese Umstellung wie eine Flucht organisiert hat – nämlich gar nicht! Oder warum man einem Teil von Ihnen zur Entzerrung nicht einfach ein halbes Jahr geschenkt hat, ging früher doch auch. Dann wäre es heute auch nicht so voll hier – aber man musste wohl die Kiellinie von urdeutschen Vorschriften einhalten.
So ließen sich viele Reformen der letzten Jahre genauer betrachten, denn wir haben erfolgreich das Zentralabitur in 10 Fächern eingeführt, als die Franzosen gerade hingingen, und dieses abschafften – übrigens mit dem selben Argument, mit der bei uns die Einführung begründet wurde: Mit einer erhofften Qualitätssteigerung. Also können wir es jetzt auch problemlos wieder zurückfahren. Auch die Reform der Studienstufe mit den bekannten Grund- und Leistungskursen hat mal gerade – je nach Bundesland – 20-30 Jahre gehalten – als nächstes läuft ja schon die Profiloberstufe. Sie wurde als Reaktion auf die ständigen Klagen aus Wirtschaft und Universitäten über die angeblich zunehmende – sagen wir ruhig kollektive Verblödung unserer AbiturientInnen – aus der Taufe gehoben. Die empirischen Ergebnisse der Evaluation über mehrere Jahre in Baden-Württemberg – jüngst veröffentlicht – zeigen aber keine messbare Qualitätsverbesserung bei den SchülerInnen, nur in einem waren sich die untersuchten SchülerInnen einig: das alte Modell der Leistungskurse und der größeren Wahlmöglichkeiten fand man wesentlich besser, vermutlich würden Sie, falls Sie die Wahl hätten, sich ähnlich äußern.
Wie in vielen bildungspolitischen Fragen wurde offenbar an Symptomen herumgedoktert, die Lehrkräfte und Schulen werden von einer Reform zur nächsten gejagt. Man hat es aber versäumt, sich mit viel grundsätzlicheren Problemen auseinanderzusetzen. Wenn die PISA-Winner-Länder wie Kanada oder Finnland 7% ihres Bruttoinlandsprodukts für die Bildung ausgeben und uns diese Zukunftsinvestition nur 5% unseres BIPs wert ist, so legt diese Milliardendifferenz gnadenlos bloß, dass wir nicht die falschen Abiturbestimmungen haben, sondern es nicht hinkriegen, bei den tatsächlichen Problemen anzusetzen. Insofern ist es erfreulich, dass einige Verantwortliche in der Politik sich als lernfähig erweisen und hier schrittweise umsteuern. Bildung wird langsam als nicht mehr zu kürzende Zukunftsinvestition begriffen. Es ist gerade erst einmal vier Jahre her, exakt zur Zeit der Fußballweltmeisterschaft hier bei uns, wo ich mich anlässlich der Abituransprache ernsthaft darüber ereifert hatte, dass man unsere Sporthalle umsonst an den steinreichen Fußballzirkus vergibt und obendrein noch die Polizei und Sicherheitseinsätze aus dem Staatssäckel finanziert, während ich als Schulleiter fast parallel die Aufforderung erhielt, mit weniger Lehrern für mehr Schüler auszukommen – einige von ihnen haben das auch als Klassenzusammenlegen erleben müssen. Die, denen diese Bildungspolitik geschadet hat, sitzen leider heute nicht hier, vielleicht hätte damals ein etwas höher besteuertes Fußballer-, Trainer- oder Popsterncheneinkommen das Geld freigesetzt, dass die Halle hier heute noch etwas voller wäre – dem einen oder anderen fällt sicher ein Kumpel ein, der ‚auf der Strecke’ geblieben ist. Aber in dem der Moment der Freude heute will ich das Positive und damit das Lernfähige herausstellen, denn Hamburg geht bundesweit voran und wird in den nächsten Jahren sehr viel Geld zusätzlich in die Bildung stecken. Hier findet also ein echtes Umdenken statt. Und es ist auch sicher einen Versuch wert, mittels einer längeren gemeinsamen Beschulung den Anteil der Risikoschüler oder der Schulversager zu reduzieren, allein schon weil wir in Deutschland weltweit die einzigen sind, die eine derart frühe Selektion durchführen. Wobei bei diesem Thema auffällig ist, dass es bei den genannten Reformprozessen ums Abitur nicht auch gleich millionenschwere Bürgerinitiativen gab.
Ziemlich unschön ist allerdings, dass der Senat zur Finanzierung 50 Millionen pro Jahr in Form einer Gehaltskürzung bei seinen Lehrkräften einsammelt und man es nicht hinbekommt, das Geld dort einzutreiben, wo es über die Maßen hin steuer-verschenkt wird, so dass bereits bestverdienende Stars wie Grönemeyer offen für Steuererhöhungen bei den Mitgliedern der gleichen Einkommensliga eintreten.
Darüber hinaus sei die Frage erlaubt, ob die massive Investition in die Grundschule nicht bereits zu spät ansetzt und ob wir nicht noch viel früher bei den sprachlichen Voraussetzungen anfangen müssten, wie es z.B. unser Nachbarland Frankreich macht, die es hinbekommen, dass 99% der Dreijährigen bereits in den Ganztagskindergarten, der sog. Maternelle gehen. Die können dann jedenfalls ausreichend Französisch, wenn sie in die Schule kommen. Und die Wichtigkeit der Beherrschung der Sprache zeigt sich ja auch bei Ihnen. Denn man wird schon nachdenklich, als ich bei einigen mündlichen Prüfungen jeweils aus Ihrer Prüfungsakte den jeweiligen Geburtsort las: Sarajewo, Grozny, Kunduz z.B. – SchülerInnen, die dort geboren wurden, sitzen heute als GymnasiastInnen mit einem deutschen Abitur unter Ihnen – da wird die Geschichte der letzten 20 Jahre leibhaftig, aber das Resultat zeigt auch, dass bei richtigem Einsatz und Förderung wie hier am Goethe-Gymnasium viel erreicht werden kann und dafür meine Hochachtung an Sie. Aber zugleich auch mein großer Dank an Ihre MitschülerInnen, die Sie in unserer Mitte aufgenommen haben und ganz großer Dank an Eure Lehrerinnen und Lehrer, die durch ihre Unterstützung und Beharrlichkeit diesen Erfolg ermöglicht haben.
Und der Erfolg Ihres Doppeljahrgangs kann sich mehr als sehen lassen: Nicht nur der hervorragende Schnitt, sondern auch die vielen exzellenten Einzelleistungen verdienen der Erwähnung. 25 mal eine 1 vor dem Komma zeigt, welche außerordentlich breite Spitze in diesem Jahr Abitur gemacht hat. Es gibt mehrere mit 1,3, ja sogar mehrfach 1,2 und in diesem Jahr sind sogar gleich 2 Schülerinnen unter Ihnen, die die Traumnote von 1,0 erreicht haben, mein herzlicher Glückwunsch geht an all diese Spitzenleistungen und besonders an unsere beiden Eins-Nuller!
Zum Schluss möchte ich allerdings eine Bildungskarriere unter den ihren wegen ihrer Ungewöhnlichkeit besonders erwähnen, lässt sie doch ahnen, welches Potential wir ungefördert verkommen lassen oder welche Erfolge umgekehrt sicher häufiger – insbesondere auch an anderen Schulen – erreichbar wären. Ich nannte vorhin Sarajewo, Grozny, Kunduz – für viele von uns sind Bürgerkriege und die damit verbundene Not von Menschen in der Regel nur bunte, vielleicht auch schreckliche Bilder abends im Fernsehen, wie gerade, Kirgistan – 100 000 Menschen auf der Flucht. Wenn deren Kinder zu uns verschlagen werden, landen sie – hoffentlich – in unseren Schulen. Der Zufall wollte es vor genau 9 Jahren, dass wir am Goethe-Gymnasium wegen Sparmaßnahmen im Bildungshaushalt rein rechnerisch auf einmal zu viele Lehrer hatten, und man deshalb eine solche Flüchtlingsklasse bei uns einrichtete. Beim mühsamen Deutschlernen fiel der unterrichtenden Lehrerin ein Kind wegen seiner Schnelligkeit auf – diese Lehrerin ist einer Reihe von Ihnen sicher bestens bekannt – es war Ihre Klassenlehrerin in der 8. Klasse, die mittlerweile pensionierte Frau Windszus. Kurz und gut, nach gut einem dreiviertel Jahr wurde diese Schülerin probeweise in eine reguläre Gymnasialklasse gegeben, fasste dort schnell Fuß, lernte wie die anderen auch, musste in der 10. Klasse noch einmal ein halbes Jahr mit ihrer Familie ein paar Länder weiterziehen, fand aber glücklicherweise den Weg zu uns zurück und sitzt nun heute als frischgebackene Abiturientin unter Ihnen, wenn auch mit Ausweispapieren, für die unser Land bei einer derart Hochqualifizierten sich eigentlich schämen müsste. Ihr Aufenthalt ist auf jeweils ein Vierteljahr befristet und läuft erneut in drei Wochen am 27. Juli ab. Aber Sie hat es geschafft – und die Schulleitung gratuliert Ihnen, liebe Aischat, zum bestandenen und obendrein erstklassigen Abitur und möchte sich zugleich bei allen KollegInnen bedanken, die eine solche Karriere ermöglicht haben. Insbesondere gilt der Dank Frau Windszus, die damit wie viele andere Lehrkräfte bei uns im Geiste unserer Schule gehandelt hat: allein auf die Fähigkeiten und Eigenschaften der Kinder zu schauen und in sie Vertrauen in den eigenen Erfolg zu setzen.
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe hoffentlich außerordentlich stolze Eltern und Anverwandte sowie Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe MitarbeiterInnen, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste!
Zunächst erst einmal meinen herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur – wir, d.h., Lehrerkollegium und Schulleitung, freuen uns mit Ihnen und sind zugleich außerordentlich stolz auf Sie alle. Denn Sie haben es – mit unserer dezenten Mithilfe – erreicht, eines der größeren logistischen Probleme der Bildungsgeschichte der letzten Jahre erfolgreich abzuwickeln – der Doppeljahrgang hat es geschafft, von den ersehnten Abiturzeugnissen trennen Sie buchstäblich nur noch meine Ausführungen, und nicht nur deshalb, sondern auch wegen der Wärme im heute doppelt so vollen Raum soll ich mich ja kurz halten. Wegen des übervollen Raums haben wir auch die Zahl der Lehrkräfte beschränkt, nur die, die mit Ihnen zu tun hatten, durften kommen – es ist also kein mangelnder Respekt Ihnen gegenüber, wenn Sie nur einige Lehrer vorfinden, 65 weitere Plätze waren einfach nicht mehr da.
Wir freuen uns auch darüber, dass Ihr Jahrgang es auch im sechsten Jahr unter besonders erschwerten Bedingungen das angeblich so viel schärfere und objektivere Zentralabiturs geschafft hat. Und eben nicht einfach nur einfach so geschafft, sondern Sie haben den Schnitt getoppt, also im langjährigen Durchschnitt die Ergebnisse unserer Schule – ob mit oder ohne Zentralabitur – übertroffen. Sie liegen mit diesem Durchschnitt von 2,37 vermutlich erneut leicht über dem Hamburger Mittelwert, doch dazu am Schluss mehr. Mit diesem Ergebnis liegt auch erneut ein empirischer Beweis dafür vor, dass Sie sich und wir uns mit den erreichten Leistungen nicht verstecken müssen – kurz gesagt, wo Goethe draufsteht, da ist auch ganz viel Goethe drin, großer Beifall von uns Lehrkräften und von den Eltern für Ihre Leistung. Und besonders zu würdigen ist, dass Ihre jüngere Hälfte obendrein auch noch die bessere Hälfte geworden ist, haben es die Gy8 SchülerInnen doch im Fotofinish geschafft, statistisch im Mittel die Gy9er leicht zu übertreffen. Vielleicht waren die Gy8er fleißiger, man hat ihnen ja auch viel Angst gemacht, entsprechende Unworte wie Versuchkaninchen und andere Nettigkeiten waren ja im Raum. Aber vielleicht ist es bei SchülerInnen einfach nur genau umgekehrt wie beim Wein – längeres Lagern in der Schule führt nicht unbedingt mehr zur Verbesserung. Insofern kann man dann auch im nächsten Jahr das Zentralabitur in Ihrer Form auch wieder abschaffen, das gibt’s dann nur noch in drei Fächern – vorerst. Da ich allerdings den Job bei der Bildungsbehörde schon ein paar Tage länger mache, bin ich da ganz zuversichtlich, dass das nicht das letzte Wort ist, denn nach der jetzigen Schulsenatorin gibt’s bestimmt irgendwann mal wieder eine andere, und irgendwas zum Reformieren muss es ja dann auch noch geben.
Insofern erlauben Sie mir anlässlich Ihres Abiturs ein paar Nachdenklichkeiten zum Reformismus in der Bildungspolitik, denn ich selbst war schon davon betroffen, schließlich habe ich selbst auch wie einige von Ihnen nur acht Jahre auf dem Gymnasium verbracht, weil man damals das Schuljahresende von Ostern auf den Sommer verlegen wollte. Ich gehörte allerdings zu den Glücklichen, denen mittels zweier Kurzschuljahre damals ein Jahr geschenkt wurde. In Deutschland eigentlich ein unglaublicher Vorgang, denn wir müssen beim Jahrgang nach Ihnen sogar die genaue Gesamtstundenzahl von 265 in 8 Jahren nachweisen. Geschadet hat es mir nicht, es sei denn man fände es problematisch, dass ich trotz 18monatigem Wehrdienst bereits mit 26 Jahren fertig ausgebildet vor der Klasse stand, trotz eines Jahres weniger Lernstoff. Aber was bei mir ausnahmsweise passierte, ist ja bei Ihnen und den weiteren Generationen das Ziel, Sie sollen ja schneller in die Berufs- und Arbeitswelt integriert werden, allerdings ohne Bildungsverluste. Deshalb hat man bei Ihnen das Gy8Abitur eingeführt, allerdings verlief die Umsetzung etwa so, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind kam. Denn wenn seinerzeit nicht zufälligerweise ein ehemaliger Bundeswehrgeneral Schulsenator geworden wäre, hätte es vielleicht kein Gy8 gegeben, denn er war in den westlichen BuLäs der Erste. Genauer gesagt war er Konteradmiral – also nicht Kenteradmiral, obwohl er ja auch nicht lange im Amt blieb. Sie fragen sicher, was diese Entscheidung der Schulzeitverkürzung mit seinem früheren Beruf zu tun hatte, aber ich habe diese bildungspolitische Hast erst verstanden, als er mir persönlich die Aufgabe eines Konteradmirals erklärt hat: Das ist der Kapitän oder eben Admiral auf dem letzten Schiff einer Flotte, bei der alle Schiffe in Kiellinie hintereinander herfahren. Und dieser Admiral auf dem letzten Schiff wird in dem Moment, wenn man den Befehl zum Wenden für alle gibt, weil’s vorn brenzlig wird und man fliehen möchte, zum BigBoss der ganzen Flotte, die dann in die entgegengesetzte Richtung dampft. Insofern war es für Ihn auch ganz einfach, den 20 000 Lehrern in HH zu befehlen, wir schippern jetzt in die andere, Gy8-Richtung. Das ging hopplahopp und ohne so lästige Fragen zu stellen, wie es Ernie aus der Sesamstraße tut: Was passiert dann? Wie geht das, ganztägig lernen, wo kann man was essen? Und woher kommt am Ende die doppelte Anzahl an Lehrstellen und Studienplätzen? Ich jedenfalls weiß bis heute noch nicht, warum man diese Umstellung wie eine Flucht organisiert hat – nämlich gar nicht! Oder warum man einem Teil von Ihnen zur Entzerrung nicht einfach ein halbes Jahr geschenkt hat, ging früher doch auch. Dann wäre es heute auch nicht so voll hier – aber man musste wohl die Kiellinie von urdeutschen Vorschriften einhalten.
So ließen sich viele Reformen der letzten Jahre genauer betrachten, denn wir haben erfolgreich das Zentralabitur in 10 Fächern eingeführt, als die Franzosen gerade hingingen, und dieses abschafften – übrigens mit dem selben Argument, mit der bei uns die Einführung begründet wurde: Mit einer erhofften Qualitätssteigerung. Also können wir es jetzt auch problemlos wieder zurückfahren. Auch die Reform der Studienstufe mit den bekannten Grund- und Leistungskursen hat mal gerade – je nach Bundesland – 20-30 Jahre gehalten – als nächstes läuft ja schon die Profiloberstufe. Sie wurde als Reaktion auf die ständigen Klagen aus Wirtschaft und Universitäten über die angeblich zunehmende – sagen wir ruhig kollektive Verblödung unserer AbiturientInnen – aus der Taufe gehoben. Die empirischen Ergebnisse der Evaluation über mehrere Jahre in Baden-Württemberg – jüngst veröffentlicht – zeigen aber keine messbare Qualitätsverbesserung bei den SchülerInnen, nur in einem waren sich die untersuchten SchülerInnen einig: das alte Modell der Leistungskurse und der größeren Wahlmöglichkeiten fand man wesentlich besser, vermutlich würden Sie, falls Sie die Wahl hätten, sich ähnlich äußern.
Wie in vielen bildungspolitischen Fragen wurde offenbar an Symptomen herumgedoktert, die Lehrkräfte und Schulen werden von einer Reform zur nächsten gejagt. Man hat es aber versäumt, sich mit viel grundsätzlicheren Problemen auseinanderzusetzen. Wenn die PISA-Winner-Länder wie Kanada oder Finnland 7% ihres Bruttoinlandsprodukts für die Bildung ausgeben und uns diese Zukunftsinvestition nur 5% unseres BIPs wert ist, so legt diese Milliardendifferenz gnadenlos bloß, dass wir nicht die falschen Abiturbestimmungen haben, sondern es nicht hinkriegen, bei den tatsächlichen Problemen anzusetzen. Insofern ist es erfreulich, dass einige Verantwortliche in der Politik sich als lernfähig erweisen und hier schrittweise umsteuern. Bildung wird langsam als nicht mehr zu kürzende Zukunftsinvestition begriffen. Es ist gerade erst einmal vier Jahre her, exakt zur Zeit der Fußballweltmeisterschaft hier bei uns, wo ich mich anlässlich der Abituransprache ernsthaft darüber ereifert hatte, dass man unsere Sporthalle umsonst an den steinreichen Fußballzirkus vergibt und obendrein noch die Polizei und Sicherheitseinsätze aus dem Staatssäckel finanziert, während ich als Schulleiter fast parallel die Aufforderung erhielt, mit weniger Lehrern für mehr Schüler auszukommen – einige von ihnen haben das auch als Klassenzusammenlegen erleben müssen. Die, denen diese Bildungspolitik geschadet hat, sitzen leider heute nicht hier, vielleicht hätte damals ein etwas höher besteuertes Fußballer-, Trainer- oder Popsterncheneinkommen das Geld freigesetzt, dass die Halle hier heute noch etwas voller wäre – dem einen oder anderen fällt sicher ein Kumpel ein, der ‚auf der Strecke’ geblieben ist. Aber in dem der Moment der Freude heute will ich das Positive und damit das Lernfähige herausstellen, denn Hamburg geht bundesweit voran und wird in den nächsten Jahren sehr viel Geld zusätzlich in die Bildung stecken. Hier findet also ein echtes Umdenken statt. Und es ist auch sicher einen Versuch wert, mittels einer längeren gemeinsamen Beschulung den Anteil der Risikoschüler oder der Schulversager zu reduzieren, allein schon weil wir in Deutschland weltweit die einzigen sind, die eine derart frühe Selektion durchführen. Wobei bei diesem Thema auffällig ist, dass es bei den genannten Reformprozessen ums Abitur nicht auch gleich millionenschwere Bürgerinitiativen gab.
Ziemlich unschön ist allerdings, dass der Senat zur Finanzierung 50 Millionen pro Jahr in Form einer Gehaltskürzung bei seinen Lehrkräften einsammelt und man es nicht hinbekommt, das Geld dort einzutreiben, wo es über die Maßen hin steuer-verschenkt wird, so dass bereits bestverdienende Stars wie Grönemeyer offen für Steuererhöhungen bei den Mitgliedern der gleichen Einkommensliga eintreten.
Darüber hinaus sei die Frage erlaubt, ob die massive Investition in die Grundschule nicht bereits zu spät ansetzt und ob wir nicht noch viel früher bei den sprachlichen Voraussetzungen anfangen müssten, wie es z.B. unser Nachbarland Frankreich macht, die es hinbekommen, dass 99% der Dreijährigen bereits in den Ganztagskindergarten, der sog. Maternelle gehen. Die können dann jedenfalls ausreichend Französisch, wenn sie in die Schule kommen. Und die Wichtigkeit der Beherrschung der Sprache zeigt sich ja auch bei Ihnen. Denn man wird schon nachdenklich, als ich bei einigen mündlichen Prüfungen jeweils aus Ihrer Prüfungsakte den jeweiligen Geburtsort las: Sarajewo, Grozny, Kunduz z.B. – SchülerInnen, die dort geboren wurden, sitzen heute als GymnasiastInnen mit einem deutschen Abitur unter Ihnen – da wird die Geschichte der letzten 20 Jahre leibhaftig, aber das Resultat zeigt auch, dass bei richtigem Einsatz und Förderung wie hier am Goethe-Gymnasium viel erreicht werden kann und dafür meine Hochachtung an Sie. Aber zugleich auch mein großer Dank an Ihre MitschülerInnen, die Sie in unserer Mitte aufgenommen haben und ganz großer Dank an Eure Lehrerinnen und Lehrer, die durch ihre Unterstützung und Beharrlichkeit diesen Erfolg ermöglicht haben.
Und der Erfolg Ihres Doppeljahrgangs kann sich mehr als sehen lassen: Nicht nur der hervorragende Schnitt, sondern auch die vielen exzellenten Einzelleistungen verdienen der Erwähnung. 25 mal eine 1 vor dem Komma zeigt, welche außerordentlich breite Spitze in diesem Jahr Abitur gemacht hat. Es gibt mehrere mit 1,3, ja sogar mehrfach 1,2 und in diesem Jahr sind sogar gleich 2 Schülerinnen unter Ihnen, die die Traumnote von 1,0 erreicht haben, mein herzlicher Glückwunsch geht an all diese Spitzenleistungen und besonders an unsere beiden Eins-Nuller!
Zum Schluss möchte ich allerdings eine Bildungskarriere unter den ihren wegen ihrer Ungewöhnlichkeit besonders erwähnen, lässt sie doch ahnen, welches Potential wir ungefördert verkommen lassen oder welche Erfolge umgekehrt sicher häufiger – insbesondere auch an anderen Schulen – erreichbar wären. Ich nannte vorhin Sarajewo, Grozny, Kunduz – für viele von uns sind Bürgerkriege und die damit verbundene Not von Menschen in der Regel nur bunte, vielleicht auch schreckliche Bilder abends im Fernsehen, wie gerade, Kirgistan – 100 000 Menschen auf der Flucht. Wenn deren Kinder zu uns verschlagen werden, landen sie – hoffentlich – in unseren Schulen. Der Zufall wollte es vor genau 9 Jahren, dass wir am Goethe-Gymnasium wegen Sparmaßnahmen im Bildungshaushalt rein rechnerisch auf einmal zu viele Lehrer hatten, und man deshalb eine solche Flüchtlingsklasse bei uns einrichtete. Beim mühsamen Deutschlernen fiel der unterrichtenden Lehrerin ein Kind wegen seiner Schnelligkeit auf – diese Lehrerin ist einer Reihe von Ihnen sicher bestens bekannt – es war Ihre Klassenlehrerin in der 8. Klasse, die mittlerweile pensionierte Frau Windszus. Kurz und gut, nach gut einem dreiviertel Jahr wurde diese Schülerin probeweise in eine reguläre Gymnasialklasse gegeben, fasste dort schnell Fuß, lernte wie die anderen auch, musste in der 10. Klasse noch einmal ein halbes Jahr mit ihrer Familie ein paar Länder weiterziehen, fand aber glücklicherweise den Weg zu uns zurück und sitzt nun heute als frischgebackene Abiturientin unter Ihnen, wenn auch mit Ausweispapieren, für die unser Land bei einer derart Hochqualifizierten sich eigentlich schämen müsste. Ihr Aufenthalt ist auf jeweils ein Vierteljahr befristet und läuft erneut in drei Wochen am 27. Juli ab. Aber Sie hat es geschafft – und die Schulleitung gratuliert Ihnen, liebe Aischat, zum bestandenen und obendrein erstklassigen Abitur und möchte sich zugleich bei allen KollegInnen bedanken, die eine solche Karriere ermöglicht haben. Insbesondere gilt der Dank Frau Windszus, die damit wie viele andere Lehrkräfte bei uns im Geiste unserer Schule gehandelt hat: allein auf die Fähigkeiten und Eigenschaften der Kinder zu schauen und in sie Vertrauen in den eigenen Erfolg zu setzen.