Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe hoffentlich außerordentlich stolze Eltern und Anverwandte sowie Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe MitarbeiterInnen, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste!
Das ist heute für mich das erste Mal – und zwar genau bei meinem 12. Abiturjahrgang in Folge als Schulleiter an dieser Schule, dass ich von meinen AbiturientInnen dazu gebeten wurde, ein Grußwort zu halten, und zwar nicht nur einfach so, sie kennen derartige Kommunikationsformen sicher: also Herr Tegge, hm, wir haben da ja, also Sie wissen ja schon, bei der Abifeier und so…., sondern die Einladung und Bitte kam schriftlich im Umschlag, formvollendet – einfach großartig! Ich dachte schon seit mehreren Jahren, dass die Hinführung zu formalen Qualifikationen, wie die Wahrung von gesellschaftlichen Förmlichkeiten, wäre in unserem reichhaltigen Lernzielkatalog schlicht vergessen worden, aber Sie haben mich da eines Besseren belehrt! Großer Dank also zunächst an all die OrganisatorInnen der diesjährigen Abiturfeierlichkeiten und auch des heutigen Events – Ihr habt eine Menge gelernt und das drückt sich eben nicht nur in Euren zahlenmäßigen Erfolgen aus, die sich ebenfalls echt sehen lassen können.
Deswegen zunächst erst einmal meinen herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur – wir, d.h., Lehrerkollegium und Schulleitung, freuen uns mit Ihnen, dass Sie mit Ihren Leistungen das lange angestrebte Ziel erreicht haben, erfolgreich das Abitur am Goethe-Gymnasium ›zu bauen‹. Und· dieser Erfolg – sieht man von denen ab, die aus ihrer Stufe heute hier nicht sitzen – wurde zum wer-weiß-wievielten Mal nacheinander mit einem recht beachtlichen Durchschnitt von 2,4 erreicht, wobei insgesamt 15 von Ihnen sogar eine 1 vor dem Komma haben und dabei jeweils gleich mehrfach die Note 1,1 oder 1,2 oder 1,3· – großer Applaus für all die Spitzenleistungen und insbesondere an die TopFive Sandra, Sonja, Simone, Nica und Viviane! Dabei ist mir aufgefallen, dass nicht nur diese fünf Besten junge Frauen sind, sondern insgesamt von den 15 Top-Ergebnissen gleich 12 mal das weibliche Geschlecht die Nase vorn hatte – diese Tendenz ist nun auch bundesweit kein Spezifikum des Goethe-Gymnasiums, sondern ein nahezu europaweiter Trend: die Mädchen haben mittlerweile die Nase immer breiter vorn, hier drückt sich eine besondere Form des demographischen Wandels aus, doch dazu später mehr.
Dann habt Ihr mir aufgegeben, mich kurz zu fassen, zur formalen Qualifikation gehört schließlich auch die Planung eines Zeitrahmens, so dass die Durchführung eines Events für alle Beteiligten überschaubar bleibt, auch diese Planungskompetenz beherrschen Eure Planer offenbar, so dass mir jetzt noch genau 12 Minuten bleiben, um Ihnen Wichtiges oder gar Bedeutsames mit auf den weiteren Lebensweg zu geben. Strengen wir uns also an.
Bei der Rückschau auf Ihren Jahrgang bleibt zunächst festzuhalten, dass Sie die letzten ihrer Art sein werden, die einen Großteil Ihrer Abiturprüfungen nach individuell durch Ihre Lehrer gestellten Aufgaben absolvieren durften, ab dem nächsten Jahr wird zumindest alles anders – ob besser sei dahin gestellt – denn dann gibt es ein Zentralabitur zumindest einheitlich in sechs Bundesländern. Uns Lehrer könnte es freuen, denn das mühselige Erstellen der Abiturklausuren fällt ja künftig weg und das bedeutet in der Tat eine echte Arbeitsentlastung, aber die KollegInnen hier im Saal haben die Arbeit für Sie gern gemacht, konnte man doch viel stärker an unseren eigenen Curricula und damit an den Fragen, die auf Ihre Schülergruppe zugeschnitten waren, ansetzen – Großer Applaus für die Arbeit Ihrer Lehrer, die das noch gemacht haben. Aber was macht ein armer Bildungssenator in Hamburg nicht alles, um endlich der jahrelangen Schmähung aus den Südländern ob eines angeblich fast wertlosen nordischen Abiturs zu begegnen – was in all den Jahren denn ja auch durch die tausendfach gescheiterten norddeutschen Akademiker, Wirtschaftunternehmen und ein Heer an unfähigen Arbeitslosen (mit Abitur!) aus dem Norden ja auch belegt wurde – was macht er also: er führt als großen Wurf zentrale Prüfungen gleich in mehreren Bundesländern ein. Dabei wird der Lufthoheit über den Stammtischen natürlich nicht erklärt, dass auch diese Neuregelung über die drei Prüfungsfächer maximal nur 25% der Abiturpunkte erfasst, wenn mündliche Zusatzprüfungen stattfinden, wird dieser Anteil noch weiter verwässert. Aber bei dieser Auseinandersetzung geht es ja nicht um Argumente, sondern um Politik. Und so will ich auch nur noch etwas nachtreten mit der These, dass zu einer solchen vorgeblichen Zentralisierung die heute allseits geforderte Individualisierung des Lernens in einem diametralen Widerspruch steht oder dass es dort, wo wir früher nur für eine einheitliche Auffassung an den Universitäten von z.B. einem betriebswirtschaftlichen Studiengang vorbereiten mussten, es heute mindestens hundert verschiedene Ausrichtungen, Studiengänge oder Abschlüsse betriebswirtschaftlicher Art gibt – dafür wäre eine gewisse Spezialisierung in der Oberstufe vermutlich sehr sinnvoll. Fatal ist lediglich, dass eine Zentralisierung natürlich wesentlich starrere Systeme produziert, die auch viel weniger leicht änderbar oder anpassungsfähig sind, und das, obwohl man weiß, dass jedes Jahr etwa 5% an Wissen dazu kommt – in zwanzig Jahren gibt es also mindestens doppelt soviel, was Sie können oder beherrschen sollten, aber auch umgekehrt vieles, was man vielleicht nicht mehr braucht….egal, vielleicht sollte man sich darauf zurückziehen, dass es in einigen Jahren auch noch etwas geben muss, was Sie, wenn Ihre Generation in der Verantwortung steht, zum Besseren ändern können.
Aber bis dahin tun sich für Sie erst einmal rosige Zeiten auf, und das denke ich nicht, weil ich der Meinung bin, dass Sie in den weiteren Ausbildungsabschnitten in den Universitäten oder Firmen ein Lotterleben erwartet. Nein, sie werden dort überall Ihre Frau oder Mann stehen müssen und sich sicher hier und da an die seligen Zeiten in der Schule erinnern, wo der Stress doch noch recht überschaubar war und es darüber hinaus viele Gemeinschaftserlebnisse gab, ob in den Klassen, im Sport oder insbesondere auch in den musikalischen Ensembles unserer Schule – nehmen wir die heutigen Auftritte zur Verschönerung unserer Abiturfeier, allen musikalisch Beteiligten und OrganisatorInnen zumindest mit einem donnernden Applaus zu danken! Nein, ich bin ernsthaft der Meinung, schaut man auf den allseitig beschworenen demographischen Wandel, dass Ihre Generation – natürlich nur, wenn Sie den Weg Ihrer weiteren Qualifizierung weiterhin beschreiten, sich in einem nie gekannten Ausmaß um Ihre Zukunft wenig Sorgen machen muss. Zwei einfache Zahlen mögen das belegen: Laut statistischem Jahrbuch von 2011 lebten zu diesem Zeitpunkt 25 Millionen Menschen in den Altersjahrgängen zwischen 40 und 59 in unserem Lande und diesen standen im Kindes- und Jugendalter von 0 bis 19 ganze 15 Mio gegenüber. Wenn man das auf 2031 verlängert und das 60igste Lebensjahr als den Durchschnittswert des Ausscheidens aus dem Arbeitsleben begreift, läuft in den nächsten 20 Jahren schlicht eine Manpower-Lücke von 10 Mio Menschen auf. D.h., dass die Zeiten der vollen Flure auf den Arbeitsämtern oder die Stapel an Bewerbungen auf eine freie Stelle mit einer ziemlichen Rasanz verschwinden werden, sondern es einen Kampf in den Unternehmen und Behörden um die Guten und gut Ausgebildeten geben wird – wozu, und dessen bin ich mir sicher – Sie allein schon wegen eines Goethe-Abiturzeugnis allemal gehören werden. Und diese 10 Mio Deckungslücke – wohlgemerkt im besten arbeitsfähigen mittleren Alter wird man auch nicht dadurch merklich zum Verschwinden bringen, wenn man jetzt die Lebensarbeitszeit auf 67 verlängert oder verstärkt Frauen dazu zu motivieren versucht, trotz Kinder- und Familienarbeit für die Betriebe weiterhin zur Verfügung zu stehen. Nebenbei gesagt, Ihr oben genanntes Abiturergebnis zeigt ja auch, dass viele von diesen sich auch schon bereits aufgestellt haben, bei der späteren Vergabe von Führungspositionen ein Wörtchen mitreden zu wollen. Nein, solche Maßnahmen lösen das Arbeitskräfteproblem der Wirtschaft nicht, es geht in Kürze nur noch darum, die Fähigen und Fitten zu ergattern, wobei der zahlenmäßige oder formale Abschluss schnell zweitrangig werden wird und ein Ranking nach Noten sich in vielen Fällen erübrigt – es gibt dann eben viel zu wenige, um überhaupt Rankings anzustellen. Insofern wird auch deutlich, dass der Vergleichbarkeitswahn unserer derzeitigen Bildungspolitiker eine rückwärtsgewandte Richtung hat, die von der Wirklichkeit in wenigen Jahren völlig überholt sein wird. Oder welche Sprache spricht es, dass auf einmal und nicht nur in Großunternehmen die Gesundheit der Mitarbeiter oberste Priorität hat, betriebliches Gesundheitsmanagement neuerdings eine eigene Abteilung in den Firmen ist oder bei VW um 17.30 Uhr für die angestellten Führungskräfte zur Burnoutvermeidung gar die Server für die Emailaccounts abgeschaltet werden, so dass der Manager at home erst morgens um 7.30Uhr· seine Kunden oder KollegInnen wieder erreichen kann? All dieses passiert, um die schwindenden Reserven an qualifizierten Arbeitskräften in unserem Lande so ›bei Laune‹ zu halten, dass bei uns nicht infolge eines Arbeitskräftemangels die bekannten ›Lichter ausgehen‹. Und ein Weiteres ist auch schon zu beobachten: Deutsche Handelskammern oder Betriebe schwärmen in die südlichen Staaten Europas aus, um, wenn auch noch vereinzelt, qualifizierte junge Menschen für unser Land zu gewinnen, um der sich abzeichnenden Schieflage wirkungsvoll zu begegnen.
Und auch darin stecken Chancen für Sie, denn Sie sind bereits hoch ausgebildet, beherrschen die deutsche Sprache und werden in den nächsten Jahren zu Fachleuten in den verschiedensten Bereichen und Berufen heranreifen. Und es muss dann viele geben, die diesen Strom an Zuwandernden aus- und fortbildet, wo immer das auch notwendig sein wird.
Alles prima also? Ganz so einfach, wie ich jetzt die rosige Zukunft vor Ihnen ausbreite, wird es vermutlich allerdings nicht laufen. Gut, die Deckungslücke von 10 Mio kann man nicht wegdiskutieren, man kann vielleicht wie manche Politiker beim Klimawandel darauf hoffen, dass es so schlimm ja nicht kommen wird, und wenn dann später und außerdem bestimmt nicht bei uns, sondern bei den anderen. Aber die besseren Planungskompetenzen (siehe oben – Einladung) ergeben leider auch einen geschärften Blick auf das, worauf wir uns einstellen müssen. 10 Mio Zuwanderer in zwanzig Jahren entspricht ungefähr dem, was in den Jahren davor 50 Jahre Zeit hatte, um sich in unserem Lande einzufinden, und das war ja wohl nur recht begrenzt ein Erfolgsmodell. Gut, man hat hierzulande ja auch jeden erdenklichen Fehler gemacht, das fängt schon bei der langjährigen Negierung des Einwanderungslandes Deutschland vermittels des schrägen Begriffs ›Gastarbeiter‹ an – so etwas kriegen auch nur (in Anführungszeichen) ›Wir Deutschen‹ hin oder haben Sie in den USA oder Kanada schon mal die Vokabel ›Guestworker‹ gehört – dort spricht man von Immigrants und unterscheidet allerhöchstens zwischen legal und illegal.
Aber Sie merken vermutlich, dass wir nicht nur unsere Sprache und damit unser Bewusstsein ändern müssen. Für eine derartige massive Veränderung unserer Gesellschaft bedarf es vielerlei Strukturen, Institutionen und vor allen Dingen eine veränderte Einstellung bei vielen der so genannten autochthonen Mitglieder unserer Gesellschaft. Und das geht mit Sicherheit nicht konfliktfrei ab, es wird auch in diesem Prozess Verlierer geben, die sich Formen äußern werden, die uns nicht immer gefallen werden. Auch hier bedarf es gut ausgebildeter junger Leute, die diesen Prozess antizipieren und nach Möglichkeit planen und steuern, bis hin zur medialen Aufbereitung, um irgendwie so etwas wie eine Willkommenskultur in unserem Lande zu schaffen.
Und da haben Sie manchen AbiturientInnen, die ein paar Stadtteile weiter südlich ebenfalls gerade feiern, vieles an Erfahrungen voraus. Sie hatten das Glück, auf eine Schule zu gehen, in der bereits heute die Vielfältigkeit einer wie auch immer differierenden Herkunft die Regel ist. Und damit mit Ihren MitschülerInnen Erfahrungen zu machen, dass der oder die Andere (auf den ersten Blick betrachtet) gar nicht soviel anders ist, als man selbst. Dass sprachliche oder kulturelle Andersartigkeiten bereichernd sein können und man vor allen Dingen gemeinsam in der Vielfältigkeit wahre Stärke erleben kann. Hier am Goethe-Gymnasium ist dieses in unserem Leitbild niedergelegt und so, hoffen wir, haben wir auch versucht Sie zu bilden und ausbilden. Großer Dank dafür noch mal an alle daran beteiligten Menschen unserer Schule, insbesondere an Ihre Lehrerinnen und Lehrer.
Ich selbst baue für die Zukunft unseres Landes und die echt großen Herausforderungen, die auf unsere Gesellschaft zukommen, auf Sie, dass Sie Ihre Erfahrungen und gewonnenen Einstellungen dazu nutzen, die Zukunft zu meistern.
Nehmen Sie die Aufgabe, aber auch die Chance an, die darin liegt!
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe hoffentlich außerordentlich stolze Eltern und Anverwandte sowie Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe MitarbeiterInnen, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste!
Das ist heute für mich das erste Mal – und zwar genau bei meinem 12. Abiturjahrgang in Folge als Schulleiter an dieser Schule, dass ich von meinen AbiturientInnen dazu gebeten wurde, ein Grußwort zu halten, und zwar nicht nur einfach so, sie kennen derartige Kommunikationsformen sicher: also Herr Tegge, hm, wir haben da ja, also Sie wissen ja schon, bei der Abifeier und so…., sondern die Einladung und Bitte kam schriftlich im Umschlag, formvollendet – einfach großartig! Ich dachte schon seit mehreren Jahren, dass die Hinführung zu formalen Qualifikationen, wie die Wahrung von gesellschaftlichen Förmlichkeiten, wäre in unserem reichhaltigen Lernzielkatalog schlicht vergessen worden, aber Sie haben mich da eines Besseren belehrt! Großer Dank also zunächst an all die OrganisatorInnen der diesjährigen Abiturfeierlichkeiten und auch des heutigen Events – Ihr habt eine Menge gelernt und das drückt sich eben nicht nur in Euren zahlenmäßigen Erfolgen aus, die sich ebenfalls echt sehen lassen können.
Deswegen zunächst erst einmal meinen herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur – wir, d.h., Lehrerkollegium und Schulleitung, freuen uns mit Ihnen, dass Sie mit Ihren Leistungen das lange angestrebte Ziel erreicht haben, erfolgreich das Abitur am Goethe-Gymnasium ›zu bauen‹. Und· dieser Erfolg – sieht man von denen ab, die aus ihrer Stufe heute hier nicht sitzen – wurde zum wer-weiß-wievielten Mal nacheinander mit einem recht beachtlichen Durchschnitt von 2,4 erreicht, wobei insgesamt 15 von Ihnen sogar eine 1 vor dem Komma haben und dabei jeweils gleich mehrfach die Note 1,1 oder 1,2 oder 1,3· – großer Applaus für all die Spitzenleistungen und insbesondere an die TopFive Sandra, Sonja, Simone, Nica und Viviane! Dabei ist mir aufgefallen, dass nicht nur diese fünf Besten junge Frauen sind, sondern insgesamt von den 15 Top-Ergebnissen gleich 12 mal das weibliche Geschlecht die Nase vorn hatte – diese Tendenz ist nun auch bundesweit kein Spezifikum des Goethe-Gymnasiums, sondern ein nahezu europaweiter Trend: die Mädchen haben mittlerweile die Nase immer breiter vorn, hier drückt sich eine besondere Form des demographischen Wandels aus, doch dazu später mehr.
Dann habt Ihr mir aufgegeben, mich kurz zu fassen, zur formalen Qualifikation gehört schließlich auch die Planung eines Zeitrahmens, so dass die Durchführung eines Events für alle Beteiligten überschaubar bleibt, auch diese Planungskompetenz beherrschen Eure Planer offenbar, so dass mir jetzt noch genau 12 Minuten bleiben, um Ihnen Wichtiges oder gar Bedeutsames mit auf den weiteren Lebensweg zu geben. Strengen wir uns also an.
Bei der Rückschau auf Ihren Jahrgang bleibt zunächst festzuhalten, dass Sie die letzten ihrer Art sein werden, die einen Großteil Ihrer Abiturprüfungen nach individuell durch Ihre Lehrer gestellten Aufgaben absolvieren durften, ab dem nächsten Jahr wird zumindest alles anders – ob besser sei dahin gestellt – denn dann gibt es ein Zentralabitur zumindest einheitlich in sechs Bundesländern. Uns Lehrer könnte es freuen, denn das mühselige Erstellen der Abiturklausuren fällt ja künftig weg und das bedeutet in der Tat eine echte Arbeitsentlastung, aber die KollegInnen hier im Saal haben die Arbeit für Sie gern gemacht, konnte man doch viel stärker an unseren eigenen Curricula und damit an den Fragen, die auf Ihre Schülergruppe zugeschnitten waren, ansetzen – Großer Applaus für die Arbeit Ihrer Lehrer, die das noch gemacht haben. Aber was macht ein armer Bildungssenator in Hamburg nicht alles, um endlich der jahrelangen Schmähung aus den Südländern ob eines angeblich fast wertlosen nordischen Abiturs zu begegnen – was in all den Jahren denn ja auch durch die tausendfach gescheiterten norddeutschen Akademiker, Wirtschaftunternehmen und ein Heer an unfähigen Arbeitslosen (mit Abitur!) aus dem Norden ja auch belegt wurde – was macht er also: er führt als großen Wurf zentrale Prüfungen gleich in mehreren Bundesländern ein. Dabei wird der Lufthoheit über den Stammtischen natürlich nicht erklärt, dass auch diese Neuregelung über die drei Prüfungsfächer maximal nur 25% der Abiturpunkte erfasst, wenn mündliche Zusatzprüfungen stattfinden, wird dieser Anteil noch weiter verwässert. Aber bei dieser Auseinandersetzung geht es ja nicht um Argumente, sondern um Politik. Und so will ich auch nur noch etwas nachtreten mit der These, dass zu einer solchen vorgeblichen Zentralisierung die heute allseits geforderte Individualisierung des Lernens in einem diametralen Widerspruch steht oder dass es dort, wo wir früher nur für eine einheitliche Auffassung an den Universitäten von z.B. einem betriebswirtschaftlichen Studiengang vorbereiten mussten, es heute mindestens hundert verschiedene Ausrichtungen, Studiengänge oder Abschlüsse betriebswirtschaftlicher Art gibt – dafür wäre eine gewisse Spezialisierung in der Oberstufe vermutlich sehr sinnvoll. Fatal ist lediglich, dass eine Zentralisierung natürlich wesentlich starrere Systeme produziert, die auch viel weniger leicht änderbar oder anpassungsfähig sind, und das, obwohl man weiß, dass jedes Jahr etwa 5% an Wissen dazu kommt – in zwanzig Jahren gibt es also mindestens doppelt soviel, was Sie können oder beherrschen sollten, aber auch umgekehrt vieles, was man vielleicht nicht mehr braucht….egal, vielleicht sollte man sich darauf zurückziehen, dass es in einigen Jahren auch noch etwas geben muss, was Sie, wenn Ihre Generation in der Verantwortung steht, zum Besseren ändern können.
Aber bis dahin tun sich für Sie erst einmal rosige Zeiten auf, und das denke ich nicht, weil ich der Meinung bin, dass Sie in den weiteren Ausbildungsabschnitten in den Universitäten oder Firmen ein Lotterleben erwartet. Nein, sie werden dort überall Ihre Frau oder Mann stehen müssen und sich sicher hier und da an die seligen Zeiten in der Schule erinnern, wo der Stress doch noch recht überschaubar war und es darüber hinaus viele Gemeinschaftserlebnisse gab, ob in den Klassen, im Sport oder insbesondere auch in den musikalischen Ensembles unserer Schule – nehmen wir die heutigen Auftritte zur Verschönerung unserer Abiturfeier, allen musikalisch Beteiligten und OrganisatorInnen zumindest mit einem donnernden Applaus zu danken! Nein, ich bin ernsthaft der Meinung, schaut man auf den allseitig beschworenen demographischen Wandel, dass Ihre Generation – natürlich nur, wenn Sie den Weg Ihrer weiteren Qualifizierung weiterhin beschreiten, sich in einem nie gekannten Ausmaß um Ihre Zukunft wenig Sorgen machen muss. Zwei einfache Zahlen mögen das belegen: Laut statistischem Jahrbuch von 2011 lebten zu diesem Zeitpunkt 25 Millionen Menschen in den Altersjahrgängen zwischen 40 und 59 in unserem Lande und diesen standen im Kindes- und Jugendalter von 0 bis 19 ganze 15 Mio gegenüber. Wenn man das auf 2031 verlängert und das 60igste Lebensjahr als den Durchschnittswert des Ausscheidens aus dem Arbeitsleben begreift, läuft in den nächsten 20 Jahren schlicht eine Manpower-Lücke von 10 Mio Menschen auf. D.h., dass die Zeiten der vollen Flure auf den Arbeitsämtern oder die Stapel an Bewerbungen auf eine freie Stelle mit einer ziemlichen Rasanz verschwinden werden, sondern es einen Kampf in den Unternehmen und Behörden um die Guten und gut Ausgebildeten geben wird – wozu, und dessen bin ich mir sicher – Sie allein schon wegen eines Goethe-Abiturzeugnis allemal gehören werden. Und diese 10 Mio Deckungslücke – wohlgemerkt im besten arbeitsfähigen mittleren Alter wird man auch nicht dadurch merklich zum Verschwinden bringen, wenn man jetzt die Lebensarbeitszeit auf 67 verlängert oder verstärkt Frauen dazu zu motivieren versucht, trotz Kinder- und Familienarbeit für die Betriebe weiterhin zur Verfügung zu stehen. Nebenbei gesagt, Ihr oben genanntes Abiturergebnis zeigt ja auch, dass viele von diesen sich auch schon bereits aufgestellt haben, bei der späteren Vergabe von Führungspositionen ein Wörtchen mitreden zu wollen. Nein, solche Maßnahmen lösen das Arbeitskräfteproblem der Wirtschaft nicht, es geht in Kürze nur noch darum, die Fähigen und Fitten zu ergattern, wobei der zahlenmäßige oder formale Abschluss schnell zweitrangig werden wird und ein Ranking nach Noten sich in vielen Fällen erübrigt – es gibt dann eben viel zu wenige, um überhaupt Rankings anzustellen. Insofern wird auch deutlich, dass der Vergleichbarkeitswahn unserer derzeitigen Bildungspolitiker eine rückwärtsgewandte Richtung hat, die von der Wirklichkeit in wenigen Jahren völlig überholt sein wird. Oder welche Sprache spricht es, dass auf einmal und nicht nur in Großunternehmen die Gesundheit der Mitarbeiter oberste Priorität hat, betriebliches Gesundheitsmanagement neuerdings eine eigene Abteilung in den Firmen ist oder bei VW um 17.30 Uhr für die angestellten Führungskräfte zur Burnoutvermeidung gar die Server für die Emailaccounts abgeschaltet werden, so dass der Manager at home erst morgens um 7.30Uhr· seine Kunden oder KollegInnen wieder erreichen kann? All dieses passiert, um die schwindenden Reserven an qualifizierten Arbeitskräften in unserem Lande so ›bei Laune‹ zu halten, dass bei uns nicht infolge eines Arbeitskräftemangels die bekannten ›Lichter ausgehen‹. Und ein Weiteres ist auch schon zu beobachten: Deutsche Handelskammern oder Betriebe schwärmen in die südlichen Staaten Europas aus, um, wenn auch noch vereinzelt, qualifizierte junge Menschen für unser Land zu gewinnen, um der sich abzeichnenden Schieflage wirkungsvoll zu begegnen.
Und auch darin stecken Chancen für Sie, denn Sie sind bereits hoch ausgebildet, beherrschen die deutsche Sprache und werden in den nächsten Jahren zu Fachleuten in den verschiedensten Bereichen und Berufen heranreifen. Und es muss dann viele geben, die diesen Strom an Zuwandernden aus- und fortbildet, wo immer das auch notwendig sein wird.
Alles prima also? Ganz so einfach, wie ich jetzt die rosige Zukunft vor Ihnen ausbreite, wird es vermutlich allerdings nicht laufen. Gut, die Deckungslücke von 10 Mio kann man nicht wegdiskutieren, man kann vielleicht wie manche Politiker beim Klimawandel darauf hoffen, dass es so schlimm ja nicht kommen wird, und wenn dann später und außerdem bestimmt nicht bei uns, sondern bei den anderen. Aber die besseren Planungskompetenzen (siehe oben – Einladung) ergeben leider auch einen geschärften Blick auf das, worauf wir uns einstellen müssen. 10 Mio Zuwanderer in zwanzig Jahren entspricht ungefähr dem, was in den Jahren davor 50 Jahre Zeit hatte, um sich in unserem Lande einzufinden, und das war ja wohl nur recht begrenzt ein Erfolgsmodell. Gut, man hat hierzulande ja auch jeden erdenklichen Fehler gemacht, das fängt schon bei der langjährigen Negierung des Einwanderungslandes Deutschland vermittels des schrägen Begriffs ›Gastarbeiter‹ an – so etwas kriegen auch nur (in Anführungszeichen) ›Wir Deutschen‹ hin oder haben Sie in den USA oder Kanada schon mal die Vokabel ›Guestworker‹ gehört – dort spricht man von Immigrants und unterscheidet allerhöchstens zwischen legal und illegal.
Aber Sie merken vermutlich, dass wir nicht nur unsere Sprache und damit unser Bewusstsein ändern müssen. Für eine derartige massive Veränderung unserer Gesellschaft bedarf es vielerlei Strukturen, Institutionen und vor allen Dingen eine veränderte Einstellung bei vielen der so genannten autochthonen Mitglieder unserer Gesellschaft. Und das geht mit Sicherheit nicht konfliktfrei ab, es wird auch in diesem Prozess Verlierer geben, die sich Formen äußern werden, die uns nicht immer gefallen werden. Auch hier bedarf es gut ausgebildeter junger Leute, die diesen Prozess antizipieren und nach Möglichkeit planen und steuern, bis hin zur medialen Aufbereitung, um irgendwie so etwas wie eine Willkommenskultur in unserem Lande zu schaffen.
Und da haben Sie manchen AbiturientInnen, die ein paar Stadtteile weiter südlich ebenfalls gerade feiern, vieles an Erfahrungen voraus. Sie hatten das Glück, auf eine Schule zu gehen, in der bereits heute die Vielfältigkeit einer wie auch immer differierenden Herkunft die Regel ist. Und damit mit Ihren MitschülerInnen Erfahrungen zu machen, dass der oder die Andere (auf den ersten Blick betrachtet) gar nicht soviel anders ist, als man selbst. Dass sprachliche oder kulturelle Andersartigkeiten bereichernd sein können und man vor allen Dingen gemeinsam in der Vielfältigkeit wahre Stärke erleben kann. Hier am Goethe-Gymnasium ist dieses in unserem Leitbild niedergelegt und so, hoffen wir, haben wir auch versucht Sie zu bilden und ausbilden. Großer Dank dafür noch mal an alle daran beteiligten Menschen unserer Schule, insbesondere an Ihre Lehrerinnen und Lehrer.
Ich selbst baue für die Zukunft unseres Landes und die echt großen Herausforderungen, die auf unsere Gesellschaft zukommen, auf Sie, dass Sie Ihre Erfahrungen und gewonnenen Einstellungen dazu nutzen, die Zukunft zu meistern.
Nehmen Sie die Aufgabe, aber auch die Chance an, die darin liegt!