Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe hoffentlich außerordentlich stolze Eltern und Anverwandte sowie Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe MitarbeiterInnen, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste!
Zunächst erst einmal meinen herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur – wir, d.h., Lehrerkollegium und Schulleitung, freuen uns mit Ihnen und sind zugleich außerordentlich stolz auf Sie alle. Wir freuen uns auch darüber, dass Ihr Jahrgang es auch im fünften Jahr des angeblich so viel schärferen und objektiveren Zentralabiturs geschafft hat, den ‚Schnitt’ zu halten, also im langjährigen Durchschnitt der Ergebnisse unserer Schule – ob mit oder ohne Zentralabitur – zu bleiben. Sie liegen mit einem Durchschnitt von etwas mehr als 2,4 vermutlich erneut leicht über dem Hamburger Mittelwert und können zudem darüber hinaus gleich 13mal mit einem Schnitt mit einer 1 vor dem Komma glänzen und es geht in echte Höhen – mehrmals 1,4 ja sogar 1,2 und 1,1 und, es ist kaum zu glauben, eine Schülerin des Goethe-Gymnasiums hat sogar die Traumnote von 1.0 erreicht. Mit all dem liegt auch erneut ein empirischer Beweis dafür vor, dass Sie sich und wir uns mit den erreichten Leistungen nicht verstecken müssen – kurz gesagt, wo Goethe draufsteht, da ist auch viel Goethe drin, großer Beifall von uns Lehrkräften und von den Eltern für Ihre Leistung. Im nächsten Jahr gibt’s dann zum Abgewöhnen das letzte Mal diese Form des Zentralabiturs – dann hat das Argument der Einheitlichkeit, Vergleichbarkeit und der Kontrolle wieder ausgedient und man kehrt weitgehend zu dem zurück, wie es früher war – bis auf den Kollateralschaden, dass Sie mehr Stress und wir erheblich mehr Arbeit hatten, ist ja auch nicht viel passiert. Dumm gelaufen eben.
Das wäre denn auch die unpassende Überleitung zu Ihrem Jahrgang: Man könnte ja auch einfach sagen, dumm gelaufen, Sie sind also der Krisenjahrgang, wie die vorletzte Ausgabe des Magazins ‚Der Spiegel’ auf der Titelseite textete. Sie haben just in einem Moment Abitur gemacht, wo die westliche Welt oder manche sagen auch, der Kapitalismus, die größte Krise seit 80 Jahren durchlebt. Sie sind also die Krisenkids, aber wir alle sitzen hier in Feierlaune, Sie wollen sich neuen Herausforderungen in Ausbildung oder Jobs stellen und Ihre Zukunft planen – und draußen jagen sich blöderweise die Bankenkrisen und Firmenpleiten – dieser Widerspruch hat schon ein bisschen was vom etwas abgewandelten Brecht-Spruch,: ‚Stell dir vor, es ist Krise, und keiner geht hin!’
Drum, hingehen oder tiefer einsteigen möchte ich auch nicht, wir wollen uns alle die Feierlaune nicht verderben lassen, aber vielleicht sollten wir doch bis zum Plop der Sektkorken gleich einen Moment innehalten und gemeinsam darüber nachdenken, welche Botschaften diese Krise Ihnen auf den künftigen Lebensweg mitgeben kann. Denn auch ein zweiter Brecht-Ausspruch ist hier sicher passend und zutreffend: „Wer aus der Geschichte nicht lernt, wird sie wiederholen.“ Und für noch einmal 500 Milliarden weitere Staatsschulen möchten Sie sicher nicht auch noch mitverhaftet werden, nur weil Sie zufälligerweise der nachwachsenden Generation angehören, das Schulden-Päckchen ist auch so groß genug.
Zunächst können wir erst einmal feststellen, dass weder Ihre Lehrerinnen und Lehrer noch gar die nicht wegzudenkenden Angestellten des Goethe-Gymnasiums wie unsere Hausmeisterei oder Frau Kühn und Frau Brüggen aus dem Schulbüro – denen allen an dieser Stelle ein großer Dank für ihre tatkräftige Mithilfe an ihrem Erfolg gebührt – also weder diese noch vermutlich Ihre Eltern und Verwandten irgendwie für diese Krise verantwortlich zu machen wären. Vielleicht gibt es im großen Dunstkreis der Schule den einen oder anderen, der sich ein paar Lehmann-Brothers-Zertifikate hat aufschwatzen lassen – aber auch dass sind Opfer, die sich von Ihnen nur darin unterscheiden, dass sie bereits sofort ihr Geld verloren haben und nicht wie Sie erst später irgendwann zur Kasse gebeten werden sollen. Vielleicht kommen wir und insbesondere Sie in dieser Krise auch noch mit einem blauen Auge davon, und – lassen Sie sich vom Krisengerede grundsätzlich nicht in Ihrer positiven Sicht auf die Zukunft kirre machen.
Aber es ist schon wichtig zu fragen, wo denn die eigentliche Ursache für den Crash zu suchen ist. Nun will ich nicht die üblichen Wirtschaftsbosse von Ackermann bis Zumwinckel als Bösewichte bemühen, um damit die Krise erklären – die haben nichts anderes gemacht, als die von unserer Rechtsordnung eingeräumten Spielräume auszunutzen oder sie bis dahin auszudehnen, wo es anfangen könnte, strafrechtlich ernsthaft weh zu tun. Diesen Crash durch eine Personalisierung erklären zu wollen, wäre ähnlich fahrlässig, als wenn man die Untaten des Dritten Reiches auf die eine bekannte Unperson mit österreicherischer Herkunft zurückführen würde. Nein, man muss sich einmal nur kurz das Geschäftsmodell der Verbriefung der Subprime Credits anschauen – keine Angst es gibt jetzt keine wirtschaftswissenschaftliche Vorlesung – aber das Modell dieses Systems ist eigentlich nichts anderes, als wenn man ein paar Autos in Einzelteile zerlegt, in Teile verpackt und man bescheinigt diesen Einzelteilen in einzelnen Kisten einen höheren Wert als den ganzen Autos – und daran glauben alle. Oder umgekehrt – dass das nicht stimmt und funktioniert, will keiner gemerkt und schon gar nicht gewusst haben. Dieses das ‚hat ja keiner gewusst und gemerkt’, kommt einem doch bekannt vor: Genau mit dieser Struktur einer Schutzbehauptung haben auch schon unsere Eltern oder Großeltern den ein oder anderen Genozid unter den Teppich kehren wollen. Und konnte man es wirklich nicht ahnen, was da auf einen zukommt?
Zur Beantwortung dieser Frage möchte ich mit Ihnen eine kleine Rückreise zu meinem eigenen Abitur vor vielen Jahren antreten. Ich musste damals einen Erörterungsaufsatz schreiben – genauer gesagt, ich war so blöd, dieses Thema zu nehmen – jedenfalls habe ich ein Erörterungsthema zu Lenins berühmten Satz bearbeitet: ‚Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.’ Welcher Teufel hat mich damals bloß geritten…
Sie ahnen aber schnell und richtig, dass ich heute nicht als Schulleiter vor Ihnen stehen würde und damals mein Abitur erfolgreich gebaut hätte, wenn ich nicht das ‚Richtige’ von mir gegeben hätte. Das Richtige zu dieser Zeit? – zur Erinnerung, wir befanden uns damals im kalten Krieg, – also war es richtig, dass wir alle mit sprachlicher Brillanz solche Aussprüche des Oberkommunisten Lenin, der damit ja die elementarsten Freiheiten wirtschaftlicher Art beschränken wollte, argumentativ in Grund und Boden gerammt haben. Nix Kontrolle – Freiheit war die Devise! Und schlimmer noch, wir haben daran geglaubt, dass das genaue Gegenteil dieses Ausspruches richtig sei, nämlich den wirtschaftlich Handelnden eine totale Freiheit einzuräumen. Wir hatten ausgeblendet, dass es sich dabei auch um eine Ideologie handelte, die im Nachgang in immer weitere wirtschaftliche und politische Systeme Einzug hielt. Natürlich ist im Namen dieser Freiheit eine Menge erreicht worden und es wurde unsere Umgebung erfolgreich europäisiert, anschließend globalisiert, die Wirtschaft liberalisiert und flexibilisiert – aber der zunehmend laxere Umgang mit immer komplexeren Systemen wurde mit der gleichen Argumentation gerechtfertigt – gesellschaftliche Kontrolle (und noch schlimmer: staatliche Regeln) sind eigentlich die Vorboten des Kommunismus und stammen damit indirekt vom Teufel ab. Und so wurde versäumt, angemessene soziale Kontrollsysteme zu entwickeln und einzurichten.
Dabei wäre, und da sind sich fast alle heute einig, ein angemessenes und genaueres Hinsehen in viele Banktransaktionen und Steuerkonten sicher angemessener gewesen. Fast einig, da es nach wie vor in unsere Gesellschaft einen mächtigen Konsens von wenigen gibt, die selbst heute sich nicht dazu bekennen mögen, dass der fast vollständige Verzicht auf eine sozial verantwortete Kontrolle eine wesentliche Ursache für das gegenwärtige Missmanagement ist. Die Lehre für Sie, die in näherer oder ferner Zukunft Verantwortung in und für diesen Staat übernehmen werden und hoffentlich auch wollen, ist damit recht einfach: Seien sie misstrauisch gegenüber denen, die in diesen elementaren Fragen unserer Wirtschaft und Gesellschaft Kontrollverlust zum Programm erheben oder gar ‚Gier ist geil’ predigen. Das Grundgesetz fordert in § 14 recht klar ‚Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.’ Verhelfen Sie in Ihrem künftigen Lebensweg diesem Gebot zur Durchsetzung und seien Sie höchst kritisch gegenüber denjenigen, die eine soziale Kontrolle der Bürger untereinander ablehnen und dazu den Freiheitsbegriff bemühen.
Wenn man dazu konkrete Beispiele bemüht, kann man echt ins Nachdenken kommen. Schauen wir uns z.B. die Schweden an, die kein Steuergeheimnis kennen und es als völlig selbstverständlich betrachten, dass man durch einen Blick in den nach Postleitzahlen sortierten Taxeringskalender erfahren kann, was der Nachbar als Einkommen und Vermögen versteuert. Sie merken, das wäre für uns zunächst einmal ziemlich befremdlich. Aber umgekehrt denken die Schweden, dass genau wir in dieser Frage im übertragenen Sinne mit der Bhurka verhüllt rumlaufen und nicht sehen wollen, dass diese schwedische Form der sozialen Kontrolle zu einer Mentalität mit einer deutlich geringeren Gier- und Neidkomponente führt, und es vielleicht kein Zufall ist, dass die Schweden seit exakt 200 Jahren an keinem Krieg mehr beteiligt waren? Und so sei auch umgekehrt an uns die Frage gespiegelt, wieso ausgerechnet Bayern trotz bestehender EU-Vorschrift die letzte Region in ganz Europa der 27 ist, die die firmen- und personengebundene Veröffentlichung der EU-Agrarsubventionen im Internet mit dem Rückgriff auf das Datenschutzargument nicht umsetzen will? – Dass Deutschland dafür demnächst 100 000 € Strafe zahlen soll PRO TAG! sei nur am Rande erwähnt. – Aber soll damit im Rückgriff auf diesen entgrenzten Freiheitsbegriff verborgen bleiben, dass in Deutschland auch ein Golfclub Agrarsubventionen erhält oder der größte Empfänger der Gelder für die armen Bauern ein großer Zuckerkonzern ist? Solche Formen der sozialen Kontrolle über im Internet zugängliche Informationen, die jeder Bürger, also auch Sie, einsehen können, sind eigentlich genau die, mit denen man Schiebereien, Korruption oder das Erschleichen von staatlichen Hilfen verhindern könnte – warum machen wir das eigentlich nicht flächendeckend auch in anderen Subventionsbereichen? Sie sehen, Sie haben also später als Staatsbürger noch eine Menge zu tun, um mit einer sinnvollen sozialen Kontrolle dem Heraufziehen solcher Krisen frühzeitig zu begegnen.
Damit sind wir beim zweiten Aspekt dieser Krise – den staatlichen Hilfen. Um es vorweg klar zu sagen – das Goethe-Gymnasium ist nicht Opel oder Karstadt – wer solche tollen AbiturientInnen hervorbringt, braucht eigentlich keine zusätzlichen staatlichen Hilfen; wir sind auch nicht runtergewirtschaftet, eher im Gegenteil, wir haben mit diesem Saal eine echt schicke Location, in der wir heute feiern können und auch mit anderen Angeboten der Schule – von der Megakletterwand bis hin zu unseren Robotern – findet man heute hier eine Ausstattung, die nicht an sehr vielen Schulen in Nah und Fern anzutreffen ist.
Aber denken Sie mal gegriffene 20 oder 25 Jahre weiter und die ersten von Ihnen kommen mit Ihren 11jährigen Buttjes oder Deerns hier an, um nach einer Schule für den Nachwuchs zu schauen. Da gäb’s dann zunächst manchen personellen Schnack – kuck mal, der Onken und die Hägele sind auch schon um die Fünfzig, und der Lenz ist schon pensioniert, von mir ganz zu schweigen – aber ansonsten sähe es hier immer noch genauso aus – eine als Halbtagsschule gebaute Waschbetonräumlichkeitsansammlung im Grünen. Da hilft dann auch nicht mehr die allertrendigste und schickste Notebookgeneration oder ein Beamer in jeder Klasse, um zu erkennen, dass die modernen Formen von Unterricht und Lernen in Lernlandschaften und Lernbüros, hochgradig individualisiert, in den Betonquadern der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht funktionieren. Aber aus Gründen der Finanzkrisenrefinanzierung um 2010 war kein Geld für Schulbau mehr da, sondern ein Sparhaushalt jagte den anderen. Und die Schulleitung murmelt dann entschuldigend, ‚Sie wissen ja, für die Farbe, wenn die Eltern selber streichen, reicht’s noch, aber ansonsten müssen ja alle sparen…
Spätestens dann haben Sie den Beleg, dass Sie in den letzten 25 Jahren irgendetwas versäumt haben. Und dahingehend möchte ich Sie heute schon warnen, dass Sie nicht gleich mit dem tollen Gefühl, es geschafft zu haben, hier rausgehen und hinter Schule dauerhaft den geistigen Haken setzen und sich erst dann wieder mit diesem Thema beschäftigen, wenn Sie mit Ihren ersten Kindern hier aufschlagen. Wenn die Bürger unseres Staates und damit auch Sie es nämlich nicht in Ihrer Gesamtheit auf die Reihe kriegen, dass die Investitionen in Schulen und deren permanente Modernisierung die zentrale Zukunftssicherungsaufgaben sind, sondern dieses Thema nur in der kurzen Zeit, wenn man Kinder hierher schickt, von Bedeutung ist, dann verhalten wir uns als Gesellschaft wie der Unternehmer, der es 20 Jahre versäumt hat, in seine Maschinen und Anlagen zu investieren, mit dem Argument, dass die alten es ja noch täten. Den wird der Markt richten, denn er kann sich nämlich nicht mit resignativen Sprüchen aus der Affäre ziehen, wie ‚was meinst du, wie das erst bei uns früher war’ ‚bei uns gab es nur einen Beamer für die ganze Schule und gegessen haben wir sogar in der zugigen Pausenhalle’ – man ist dann schnell bei der Nachkriegskinderargumentation, die das Holz für den Ofen in der Klasse noch selber hacken musste.
Die Alternative wird dann sein, sich nach sündhaft teuren Privatschulen umzuschauen, bezüglich der Schulgeldhöhe kann man sich ja schon mal in den USA oder in der Schweiz erkundigen.
Wenn man das nicht will, muss man sich beizeiten dafür einzusetzen, dass es neben der Schuldenbremse auch z.B. eine grundgesetzlich abgesicherte Mindestinvestitionsquote für die Bildung gibt, die sich zumindest auf dem Niveau der PISA-Winner-Länder bewegt. Das würde auch den verschulten aber immer noch überfüllten Universitäten zu Gute kommen – Sie werden es bald merken, dass es hier am Goethe-Gymnasium doch ziemlich angenehm war.
Insofern brauchen wir keine staatliche Einmal-Hilfen, sondern der Staat muss sich um seine zentrale Investitionsaufgabe permanent kümmern. Damit er das kann, sei es auch erlaubt, dass seine Einnahmensituation deutlich verbessert wird, denn ohne ein deutliches Mehr an Geld können wir hier keine moderne Schule organisieren. Und so schließt sich der Kreis zum Anfang meiner Ausführungen – zur Verbesserung dürfte entscheidend eine größere Transparenz, Öffentlichkeit und soziale Kontrolle mindestens in unserem Lande beitragen, damit zukünftig Liechtenstein oder die Cayman-Islands sich nur noch als touristisches Ziel einen Namen machen können.
Apropo Urlaub, den haben sie sich nach all diesen Anstrengungen erst einmal redlich verdient – in diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine schöne Zeit, bis Sie mit dem Abiturzeugnis des Goethe-Gymnasiums zu neuen Zielen aufbrechen. Und wie gesagt, lassen Sie sich nicht vom Krisengerede kirre machen, gehen Sie Ihre Zukunft aktiv an, verändern Sie hinderliche Strukturen – nur weil etwas schon lange so ist, muss es ja nicht so bleiben. Gerade Krisen bieten die Möglichkeit dazu, denn bisher haben auch viele Generationen vor Ihnen trotz angeblich schlechter Perspektiven mehr als das Beste draus gemacht – die Zukunft gehört der Jugend, sie gehört Ihnen.
Ein Nachsatz sei allerdings im Auftrag des Leiters des Amtes für Bildung erlaubt: Die Schulbehörde möchte sich bei der Schulleitung und beim Kollegium dafür bedanken, dass wir alle unter Hintanstellen von bürokratischen Vorschriften es ermöglicht haben, dass einer jungen Frau unter Ihnen es gelingen konnte, die Abiturprüfung erfolgreich abzulegen, die unter den Umständen ihrer Krankheit eigentlich keine Chance dazu gehabt hätte. Die Schulbehörde bedankt sich auch bei ihrer Mutter für deren Beharrlichkeit, weil mit diesem Beispiel gezeigt werden kann, dass auch unter extrem erschwerten Bedingungen oftmals viel mehr möglich ist, wenn man nur unser urdeutsches Vorschriftenwesen etwas flexibler handhabt und im Ergebnis bescheidene zusätzliche Mittel bereitstellt. Die Behörde für Schule und Berufsbildung gratuliert Ihnen liebe Carina, ausdrücklich zum bestandenen Abitur.
Und auch ein zweiter Fall soll auf Grund seiner Ungewöhnlichkeit besondere Erwähnung finden: Es ist schon schwierig genug, sich in einem zunächst fremden Land zurechtzufinden, dessen Sprache man kaum beherrscht. Wenn man dann auch noch, weil der Vater verstorben ist, die Aufforderung zur Ausreise in den Händen hält, obwohl man gerade Anschluss gefunden hat, ist man froh, wenn man von Mitschülern und Kolleginnen der Schule beim Wunsch zu bleiben unterstützt wird. Dass es Ihnen, liebe Tatyana, dann gelungen ist, auch noch ein Spitzenabitur zu bauen, freut uns sehr, zeigt sich doch auch hier, das Grenzen überwindbar sind, wenn man den eigenen Willen dazu hat und man dabei breite Unterstützung findet.
Die Schulleitung bedankt sich für diese Unterstützung bei Ihren MitschülerInnen und den Sie begleitenden KollegInnen.
(Schulleiter – Egon Tegge 06/09)
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe hoffentlich außerordentlich stolze Eltern und Anverwandte sowie Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe MitarbeiterInnen, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste!
Zunächst erst einmal meinen herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur – wir, d.h., Lehrerkollegium und Schulleitung, freuen uns mit Ihnen und sind zugleich außerordentlich stolz auf Sie alle. Wir freuen uns auch darüber, dass Ihr Jahrgang es auch im fünften Jahr des angeblich so viel schärferen und objektiveren Zentralabiturs geschafft hat, den ‚Schnitt’ zu halten, also im langjährigen Durchschnitt der Ergebnisse unserer Schule – ob mit oder ohne Zentralabitur – zu bleiben. Sie liegen mit einem Durchschnitt von etwas mehr als 2,4 vermutlich erneut leicht über dem Hamburger Mittelwert und können zudem darüber hinaus gleich 13mal mit einem Schnitt mit einer 1 vor dem Komma glänzen und es geht in echte Höhen – mehrmals 1,4 ja sogar 1,2 und 1,1 und, es ist kaum zu glauben, eine Schülerin des Goethe-Gymnasiums hat sogar die Traumnote von 1.0 erreicht. Mit all dem liegt auch erneut ein empirischer Beweis dafür vor, dass Sie sich und wir uns mit den erreichten Leistungen nicht verstecken müssen – kurz gesagt, wo Goethe draufsteht, da ist auch viel Goethe drin, großer Beifall von uns Lehrkräften und von den Eltern für Ihre Leistung. Im nächsten Jahr gibt’s dann zum Abgewöhnen das letzte Mal diese Form des Zentralabiturs – dann hat das Argument der Einheitlichkeit, Vergleichbarkeit und der Kontrolle wieder ausgedient und man kehrt weitgehend zu dem zurück, wie es früher war – bis auf den Kollateralschaden, dass Sie mehr Stress und wir erheblich mehr Arbeit hatten, ist ja auch nicht viel passiert. Dumm gelaufen eben.
Das wäre denn auch die unpassende Überleitung zu Ihrem Jahrgang: Man könnte ja auch einfach sagen, dumm gelaufen, Sie sind also der Krisenjahrgang, wie die vorletzte Ausgabe des Magazins ‚Der Spiegel’ auf der Titelseite textete. Sie haben just in einem Moment Abitur gemacht, wo die westliche Welt oder manche sagen auch, der Kapitalismus, die größte Krise seit 80 Jahren durchlebt. Sie sind also die Krisenkids, aber wir alle sitzen hier in Feierlaune, Sie wollen sich neuen Herausforderungen in Ausbildung oder Jobs stellen und Ihre Zukunft planen – und draußen jagen sich blöderweise die Bankenkrisen und Firmenpleiten – dieser Widerspruch hat schon ein bisschen was vom etwas abgewandelten Brecht-Spruch,: ‚Stell dir vor, es ist Krise, und keiner geht hin!’
Drum, hingehen oder tiefer einsteigen möchte ich auch nicht, wir wollen uns alle die Feierlaune nicht verderben lassen, aber vielleicht sollten wir doch bis zum Plop der Sektkorken gleich einen Moment innehalten und gemeinsam darüber nachdenken, welche Botschaften diese Krise Ihnen auf den künftigen Lebensweg mitgeben kann. Denn auch ein zweiter Brecht-Ausspruch ist hier sicher passend und zutreffend: „Wer aus der Geschichte nicht lernt, wird sie wiederholen.“ Und für noch einmal 500 Milliarden weitere Staatsschulen möchten Sie sicher nicht auch noch mitverhaftet werden, nur weil Sie zufälligerweise der nachwachsenden Generation angehören, das Schulden-Päckchen ist auch so groß genug.
Zunächst können wir erst einmal feststellen, dass weder Ihre Lehrerinnen und Lehrer noch gar die nicht wegzudenkenden Angestellten des Goethe-Gymnasiums wie unsere Hausmeisterei oder Frau Kühn und Frau Brüggen aus dem Schulbüro – denen allen an dieser Stelle ein großer Dank für ihre tatkräftige Mithilfe an ihrem Erfolg gebührt – also weder diese noch vermutlich Ihre Eltern und Verwandten irgendwie für diese Krise verantwortlich zu machen wären. Vielleicht gibt es im großen Dunstkreis der Schule den einen oder anderen, der sich ein paar Lehmann-Brothers-Zertifikate hat aufschwatzen lassen – aber auch dass sind Opfer, die sich von Ihnen nur darin unterscheiden, dass sie bereits sofort ihr Geld verloren haben und nicht wie Sie erst später irgendwann zur Kasse gebeten werden sollen. Vielleicht kommen wir und insbesondere Sie in dieser Krise auch noch mit einem blauen Auge davon, und – lassen Sie sich vom Krisengerede grundsätzlich nicht in Ihrer positiven Sicht auf die Zukunft kirre machen.
Aber es ist schon wichtig zu fragen, wo denn die eigentliche Ursache für den Crash zu suchen ist. Nun will ich nicht die üblichen Wirtschaftsbosse von Ackermann bis Zumwinckel als Bösewichte bemühen, um damit die Krise erklären – die haben nichts anderes gemacht, als die von unserer Rechtsordnung eingeräumten Spielräume auszunutzen oder sie bis dahin auszudehnen, wo es anfangen könnte, strafrechtlich ernsthaft weh zu tun. Diesen Crash durch eine Personalisierung erklären zu wollen, wäre ähnlich fahrlässig, als wenn man die Untaten des Dritten Reiches auf die eine bekannte Unperson mit österreicherischer Herkunft zurückführen würde. Nein, man muss sich einmal nur kurz das Geschäftsmodell der Verbriefung der Subprime Credits anschauen – keine Angst es gibt jetzt keine wirtschaftswissenschaftliche Vorlesung – aber das Modell dieses Systems ist eigentlich nichts anderes, als wenn man ein paar Autos in Einzelteile zerlegt, in Teile verpackt und man bescheinigt diesen Einzelteilen in einzelnen Kisten einen höheren Wert als den ganzen Autos – und daran glauben alle. Oder umgekehrt – dass das nicht stimmt und funktioniert, will keiner gemerkt und schon gar nicht gewusst haben. Dieses das ‚hat ja keiner gewusst und gemerkt’, kommt einem doch bekannt vor: Genau mit dieser Struktur einer Schutzbehauptung haben auch schon unsere Eltern oder Großeltern den ein oder anderen Genozid unter den Teppich kehren wollen. Und konnte man es wirklich nicht ahnen, was da auf einen zukommt?
Zur Beantwortung dieser Frage möchte ich mit Ihnen eine kleine Rückreise zu meinem eigenen Abitur vor vielen Jahren antreten. Ich musste damals einen Erörterungsaufsatz schreiben – genauer gesagt, ich war so blöd, dieses Thema zu nehmen – jedenfalls habe ich ein Erörterungsthema zu Lenins berühmten Satz bearbeitet: ‚Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.’ Welcher Teufel hat mich damals bloß geritten…
Sie ahnen aber schnell und richtig, dass ich heute nicht als Schulleiter vor Ihnen stehen würde und damals mein Abitur erfolgreich gebaut hätte, wenn ich nicht das ‚Richtige’ von mir gegeben hätte. Das Richtige zu dieser Zeit? – zur Erinnerung, wir befanden uns damals im kalten Krieg, – also war es richtig, dass wir alle mit sprachlicher Brillanz solche Aussprüche des Oberkommunisten Lenin, der damit ja die elementarsten Freiheiten wirtschaftlicher Art beschränken wollte, argumentativ in Grund und Boden gerammt haben. Nix Kontrolle – Freiheit war die Devise! Und schlimmer noch, wir haben daran geglaubt, dass das genaue Gegenteil dieses Ausspruches richtig sei, nämlich den wirtschaftlich Handelnden eine totale Freiheit einzuräumen. Wir hatten ausgeblendet, dass es sich dabei auch um eine Ideologie handelte, die im Nachgang in immer weitere wirtschaftliche und politische Systeme Einzug hielt. Natürlich ist im Namen dieser Freiheit eine Menge erreicht worden und es wurde unsere Umgebung erfolgreich europäisiert, anschließend globalisiert, die Wirtschaft liberalisiert und flexibilisiert – aber der zunehmend laxere Umgang mit immer komplexeren Systemen wurde mit der gleichen Argumentation gerechtfertigt – gesellschaftliche Kontrolle (und noch schlimmer: staatliche Regeln) sind eigentlich die Vorboten des Kommunismus und stammen damit indirekt vom Teufel ab. Und so wurde versäumt, angemessene soziale Kontrollsysteme zu entwickeln und einzurichten.
Dabei wäre, und da sind sich fast alle heute einig, ein angemessenes und genaueres Hinsehen in viele Banktransaktionen und Steuerkonten sicher angemessener gewesen. Fast einig, da es nach wie vor in unsere Gesellschaft einen mächtigen Konsens von wenigen gibt, die selbst heute sich nicht dazu bekennen mögen, dass der fast vollständige Verzicht auf eine sozial verantwortete Kontrolle eine wesentliche Ursache für das gegenwärtige Missmanagement ist. Die Lehre für Sie, die in näherer oder ferner Zukunft Verantwortung in und für diesen Staat übernehmen werden und hoffentlich auch wollen, ist damit recht einfach: Seien sie misstrauisch gegenüber denen, die in diesen elementaren Fragen unserer Wirtschaft und Gesellschaft Kontrollverlust zum Programm erheben oder gar ‚Gier ist geil’ predigen. Das Grundgesetz fordert in § 14 recht klar ‚Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.’ Verhelfen Sie in Ihrem künftigen Lebensweg diesem Gebot zur Durchsetzung und seien Sie höchst kritisch gegenüber denjenigen, die eine soziale Kontrolle der Bürger untereinander ablehnen und dazu den Freiheitsbegriff bemühen.
Wenn man dazu konkrete Beispiele bemüht, kann man echt ins Nachdenken kommen. Schauen wir uns z.B. die Schweden an, die kein Steuergeheimnis kennen und es als völlig selbstverständlich betrachten, dass man durch einen Blick in den nach Postleitzahlen sortierten Taxeringskalender erfahren kann, was der Nachbar als Einkommen und Vermögen versteuert. Sie merken, das wäre für uns zunächst einmal ziemlich befremdlich. Aber umgekehrt denken die Schweden, dass genau wir in dieser Frage im übertragenen Sinne mit der Bhurka verhüllt rumlaufen und nicht sehen wollen, dass diese schwedische Form der sozialen Kontrolle zu einer Mentalität mit einer deutlich geringeren Gier- und Neidkomponente führt, und es vielleicht kein Zufall ist, dass die Schweden seit exakt 200 Jahren an keinem Krieg mehr beteiligt waren? Und so sei auch umgekehrt an uns die Frage gespiegelt, wieso ausgerechnet Bayern trotz bestehender EU-Vorschrift die letzte Region in ganz Europa der 27 ist, die die firmen- und personengebundene Veröffentlichung der EU-Agrarsubventionen im Internet mit dem Rückgriff auf das Datenschutzargument nicht umsetzen will? – Dass Deutschland dafür demnächst 100 000 € Strafe zahlen soll PRO TAG! sei nur am Rande erwähnt. – Aber soll damit im Rückgriff auf diesen entgrenzten Freiheitsbegriff verborgen bleiben, dass in Deutschland auch ein Golfclub Agrarsubventionen erhält oder der größte Empfänger der Gelder für die armen Bauern ein großer Zuckerkonzern ist? Solche Formen der sozialen Kontrolle über im Internet zugängliche Informationen, die jeder Bürger, also auch Sie, einsehen können, sind eigentlich genau die, mit denen man Schiebereien, Korruption oder das Erschleichen von staatlichen Hilfen verhindern könnte – warum machen wir das eigentlich nicht flächendeckend auch in anderen Subventionsbereichen? Sie sehen, Sie haben also später als Staatsbürger noch eine Menge zu tun, um mit einer sinnvollen sozialen Kontrolle dem Heraufziehen solcher Krisen frühzeitig zu begegnen.
Damit sind wir beim zweiten Aspekt dieser Krise – den staatlichen Hilfen. Um es vorweg klar zu sagen – das Goethe-Gymnasium ist nicht Opel oder Karstadt – wer solche tollen AbiturientInnen hervorbringt, braucht eigentlich keine zusätzlichen staatlichen Hilfen; wir sind auch nicht runtergewirtschaftet, eher im Gegenteil, wir haben mit diesem Saal eine echt schicke Location, in der wir heute feiern können und auch mit anderen Angeboten der Schule – von der Megakletterwand bis hin zu unseren Robotern – findet man heute hier eine Ausstattung, die nicht an sehr vielen Schulen in Nah und Fern anzutreffen ist.
Aber denken Sie mal gegriffene 20 oder 25 Jahre weiter und die ersten von Ihnen kommen mit Ihren 11jährigen Buttjes oder Deerns hier an, um nach einer Schule für den Nachwuchs zu schauen. Da gäb’s dann zunächst manchen personellen Schnack – kuck mal, der Onken und die Hägele sind auch schon um die Fünfzig, und der Lenz ist schon pensioniert, von mir ganz zu schweigen – aber ansonsten sähe es hier immer noch genauso aus – eine als Halbtagsschule gebaute Waschbetonräumlichkeitsansammlung im Grünen. Da hilft dann auch nicht mehr die allertrendigste und schickste Notebookgeneration oder ein Beamer in jeder Klasse, um zu erkennen, dass die modernen Formen von Unterricht und Lernen in Lernlandschaften und Lernbüros, hochgradig individualisiert, in den Betonquadern der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht funktionieren. Aber aus Gründen der Finanzkrisenrefinanzierung um 2010 war kein Geld für Schulbau mehr da, sondern ein Sparhaushalt jagte den anderen. Und die Schulleitung murmelt dann entschuldigend, ‚Sie wissen ja, für die Farbe, wenn die Eltern selber streichen, reicht’s noch, aber ansonsten müssen ja alle sparen…
Spätestens dann haben Sie den Beleg, dass Sie in den letzten 25 Jahren irgendetwas versäumt haben. Und dahingehend möchte ich Sie heute schon warnen, dass Sie nicht gleich mit dem tollen Gefühl, es geschafft zu haben, hier rausgehen und hinter Schule dauerhaft den geistigen Haken setzen und sich erst dann wieder mit diesem Thema beschäftigen, wenn Sie mit Ihren ersten Kindern hier aufschlagen. Wenn die Bürger unseres Staates und damit auch Sie es nämlich nicht in Ihrer Gesamtheit auf die Reihe kriegen, dass die Investitionen in Schulen und deren permanente Modernisierung die zentrale Zukunftssicherungsaufgaben sind, sondern dieses Thema nur in der kurzen Zeit, wenn man Kinder hierher schickt, von Bedeutung ist, dann verhalten wir uns als Gesellschaft wie der Unternehmer, der es 20 Jahre versäumt hat, in seine Maschinen und Anlagen zu investieren, mit dem Argument, dass die alten es ja noch täten. Den wird der Markt richten, denn er kann sich nämlich nicht mit resignativen Sprüchen aus der Affäre ziehen, wie ‚was meinst du, wie das erst bei uns früher war’ ‚bei uns gab es nur einen Beamer für die ganze Schule und gegessen haben wir sogar in der zugigen Pausenhalle’ – man ist dann schnell bei der Nachkriegskinderargumentation, die das Holz für den Ofen in der Klasse noch selber hacken musste.
Die Alternative wird dann sein, sich nach sündhaft teuren Privatschulen umzuschauen, bezüglich der Schulgeldhöhe kann man sich ja schon mal in den USA oder in der Schweiz erkundigen.
Wenn man das nicht will, muss man sich beizeiten dafür einzusetzen, dass es neben der Schuldenbremse auch z.B. eine grundgesetzlich abgesicherte Mindestinvestitionsquote für die Bildung gibt, die sich zumindest auf dem Niveau der PISA-Winner-Länder bewegt. Das würde auch den verschulten aber immer noch überfüllten Universitäten zu Gute kommen – Sie werden es bald merken, dass es hier am Goethe-Gymnasium doch ziemlich angenehm war.
Insofern brauchen wir keine staatliche Einmal-Hilfen, sondern der Staat muss sich um seine zentrale Investitionsaufgabe permanent kümmern. Damit er das kann, sei es auch erlaubt, dass seine Einnahmensituation deutlich verbessert wird, denn ohne ein deutliches Mehr an Geld können wir hier keine moderne Schule organisieren. Und so schließt sich der Kreis zum Anfang meiner Ausführungen – zur Verbesserung dürfte entscheidend eine größere Transparenz, Öffentlichkeit und soziale Kontrolle mindestens in unserem Lande beitragen, damit zukünftig Liechtenstein oder die Cayman-Islands sich nur noch als touristisches Ziel einen Namen machen können.
Apropo Urlaub, den haben sie sich nach all diesen Anstrengungen erst einmal redlich verdient – in diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine schöne Zeit, bis Sie mit dem Abiturzeugnis des Goethe-Gymnasiums zu neuen Zielen aufbrechen. Und wie gesagt, lassen Sie sich nicht vom Krisengerede kirre machen, gehen Sie Ihre Zukunft aktiv an, verändern Sie hinderliche Strukturen – nur weil etwas schon lange so ist, muss es ja nicht so bleiben. Gerade Krisen bieten die Möglichkeit dazu, denn bisher haben auch viele Generationen vor Ihnen trotz angeblich schlechter Perspektiven mehr als das Beste draus gemacht – die Zukunft gehört der Jugend, sie gehört Ihnen.
Ein Nachsatz sei allerdings im Auftrag des Leiters des Amtes für Bildung erlaubt: Die Schulbehörde möchte sich bei der Schulleitung und beim Kollegium dafür bedanken, dass wir alle unter Hintanstellen von bürokratischen Vorschriften es ermöglicht haben, dass einer jungen Frau unter Ihnen es gelingen konnte, die Abiturprüfung erfolgreich abzulegen, die unter den Umständen ihrer Krankheit eigentlich keine Chance dazu gehabt hätte. Die Schulbehörde bedankt sich auch bei ihrer Mutter für deren Beharrlichkeit, weil mit diesem Beispiel gezeigt werden kann, dass auch unter extrem erschwerten Bedingungen oftmals viel mehr möglich ist, wenn man nur unser urdeutsches Vorschriftenwesen etwas flexibler handhabt und im Ergebnis bescheidene zusätzliche Mittel bereitstellt. Die Behörde für Schule und Berufsbildung gratuliert Ihnen liebe Carina, ausdrücklich zum bestandenen Abitur.
Und auch ein zweiter Fall soll auf Grund seiner Ungewöhnlichkeit besondere Erwähnung finden: Es ist schon schwierig genug, sich in einem zunächst fremden Land zurechtzufinden, dessen Sprache man kaum beherrscht. Wenn man dann auch noch, weil der Vater verstorben ist, die Aufforderung zur Ausreise in den Händen hält, obwohl man gerade Anschluss gefunden hat, ist man froh, wenn man von Mitschülern und Kolleginnen der Schule beim Wunsch zu bleiben unterstützt wird. Dass es Ihnen, liebe Tatyana, dann gelungen ist, auch noch ein Spitzenabitur zu bauen, freut uns sehr, zeigt sich doch auch hier, das Grenzen überwindbar sind, wenn man den eigenen Willen dazu hat und man dabei breite Unterstützung findet.
Die Schulleitung bedankt sich für diese Unterstützung bei Ihren MitschülerInnen und den Sie begleitenden KollegInnen.
(Schulleiter – Egon Tegge 06/09)